Baubeginn
Längst vor Abschluß der offiziellen Verhandlungen hatte die Eisenbahngesellschaft mit den Vorbereitungen für den Beginn der Bauarbeiten begonnen. Schon im Oktober 1867 ergeht seitens des preußischen Handelsministers der Auftrag zur Aufnahme der Vorarbeiten auf preußischem Gebiet mit gleichzeitiger Bitte an die Lippische Regierung, auch auf ihrem Gebiet damit beginnen zu dürfen. Die Genehmigung wird lippischerseits erteilt. Das Amt Schieder erhält den Auftrag, die Vorsteher der betroffenen Gemeinden und die beteiligten Grundbesitzer in Kenntnis zu setzen. Bei Beschädigungen soll dieses auch die Feststellung und Erstattung der Schadensbeträge übernehmen.
Die eigentlichen Vermessungsarbeiten beginnen in den ersten Monaten des Jahres 1869. Im Lippischen Regierungs- und Anzeigenblatt erscheint die entsprechende Bekanntmachung. Die Regierung unterrichtet die Forstdirektion in diesem Sinne. Die herrschaftlichen Forsten bei Schieder würden voraussichtlich durchlichtet werden müssen, so daß die Forstbehörden bald mit den notwendigen Instruktionen zu versehen seien. Mit dem Schiederschen Forstmeister sei Rücksprache zu nehmen. Bereits Anfang August 1869 waren Richtung und Breiten auf Schiederschem Gebiet abgesteckt. Von Harzberg bis Noltehof war die Bahn auf lippischem Gebiet zu bauen, wobei zu entscheiden war, ob der Bahnkörper links oder rechts der Emmer zu liegen hatte. Das Gebiet rechts der Emmer, also dem Dorfe zu, bereitete geländemäßig größere Schwierigkeiten. Die Bahn hätte den Park des Schlosses durchschneiden müssen. Schon aus diesem Grunde kam diese Linienführung nicht in Betracht, die allerdings den Vorteil geboten hätte, daß Schieder selbst näher an die Bahn kam. Blieb also die Linienführung links der Emmer. Der Platz für den zu bauenden Bahnhof lag von vornherein fest. Es war der Wille des Fürsten, diesen gegenüber dem Park seines Schlosses zu haben. Schließlich konnte man sich darauf berufen, daß nach dem Schlußprotokoll des Staatsvertrages besondere Wünsche Lippes in Erwägung zu ziehen waren, insbesondere auch solche bezüglich der Fahrten und Fahrzeiten der das lippische Gebiet berührenden Züge.
Blomberger Kritik
Erhebliche Kritik löste der Bau des Bahnhofs Schieder an der vorgesehenen Stelle seitens des Magistrats der Stadt Blomberg aus. In einem Schreiben an das Kabinettsministerium vom 11. Juni 1869 wird zunächst vermerkt, daß dem Vernehmen nach die Haltestelle Schieder oberhalb des Palaisgartens angelegt werden solle. An der Bahn arbeitende Ingenieure hätten dem Bürgermeister von Blomberg versichert, daß sich der Haltepunkt ebensowohl und mit verhältnismäßig wenig höherem Kostenaufwand in der Nähe des Chausseehauses amNessenberg errichten lasse, wodurch er der Stadt Blomberg fast um eine halbe Stunde näher rücken würde. Der Magistrat dürfe eine derartige Andeutung nicht ganz unbeachtet lassen, wenn er sich nicht den Vorwurf machen wolle, das Gemeinwohl vernachlässigt zu haben. Das Kabinettsministerium wird dann gefragt, ob ein etwaiger Versuch, die Anlage der Haltestelle näher nach Blomberg hin zu erlangen, Erfolg verspreche und welche Schritte in diesem Falle seitens der Stadt getan werden müßten. Bereits am 16. Juni wird dem Magistrat mitgeteilt, daß der Bahnhof Schieder nur deshalb bewilligt worden sei, weil die fürstliche Familie während des Sommers in Schieder residiere. Eine Verlegung von Schieder in Richtung Blomberg werde deshalb nicht in Aussicht gestellt werden können, Verhandlungen könnten keinen Erfolg versprechen. Endgültig entschieden wurde diese Frage gelegentlich der landespolizeilichen Prüfung der projektierten Linie am 6. Oktober 1869. An diesem Tage trafen sich die beiderseitigen Eisenbahnkommissare und andere Interessenten im Chausseehause bei Harzberg, der heutigen Waldwirtschaft „Fischanger", um die Strecke von Harzberg bis Noltehof zu begehen. Teilnehmer waren unter anderen aus Schieder Domänenpächter Treviranus, Oberförster Maertens und Amtmann Ernst. Maertens war mit dem Colon Plöger Nr. 14 auch Vertreter der Gemeinde Schieder. Für beide wurde, was zeitgeschichtlich bemerkenswert erscheint, wenig später in einer Eingabe des Amtes Schieder an die Regierung in Detmold ein Tagegeld von je einem Taler erbeten. In einem Protokoll über die Begehung stellt der Regierungspräsident Heldmann fest, daß über die zweckmäßige Anlage des Bahnhofs Schieder in Gegenwart des Vertreters der Stadt Blomberg ausführliche Erörterungen stattgefunden hätten. Sämtliche Techniker seien sich darüber klar gewesen, daß aus den verschiedensten Gründen die von der Stadt Blomberg gewünschte Verlegung des Bahnhofs nach dem Noltehof durchaus unzweckmäßig sei. Wie ernst den Blombergern ihr Wunsch war, beweist ihr Angebot, hierfür einen Betrag von 18 000 Mark zu zahlen.
Im Interesse Schieders ?
Die Blomberger haben noch oft, letztlich bis zur Inbetriebnahme der Eisenbahn Schieder—Blomberg im Jahre 1897, Gelegenheit genommen, über die nach ihrer Ansicht verfehlte Plazierung des Bahnhofs Schieder zu wettern. Wer wollte ihnen auch die Berechtigung dazu bestreiten? Der Bau des Bahnhofs an der vorgesehenen Stelle war, wie ja auch das Kabinettsministerium auf ihre Eingabe zugegeben hatte, Erfüllung des landesherrlichen Willens. Sicher, für den Verkehr nach Barntrup lag der Bahnhof günstig, aber auch die Bewohner Schieders hätten es gewiß nicht ungern gesehen, wenn der Bahnhof auf dem Noltehof errichtet worden wäre. Entfernung, Geradlinigkeit der Straße und Steigungsverhältnisse waren keinesfalls ungünstiger. Besonders für die Einwohner des östlichen Teils von Schieder war es ein Ärgernis, zum Bahnhof den langen Weg um den Schloßpark machen zu müssen. Dieser Park durfte ja nur bei besonderen Anlässen vom Volk betreten und als Fußweg zum Bahnhof benutzt werden. Aus der Not wurde schließlich eine Tugend, denn kurz vor dem ersten Krieg gelang es, einen Weg über die „Langen Äckern", entlang der Ostseite des Parks und mit einer Holzbrücke über die Emmer anzulegen. Er mußte aufgegeben werden, als die Brücke nach dem zweiten Kriege baufällig und abgerissen wurde. Wie überhaupt um die Gemeinde Schieder, so hat sich besonders auch um den Bahnhofs-Abkürzungsweg der im Jahre 1958 verstorbene, fast fünfzig Jahre in Schieder tätig gewesene Hauptlehrer A. Pankoke verdient gemacht.
Im Schiederschen Forst
Die Eisenbahngesellschaft hatte für den 24. Juni 1869 zur Feier des Baubeginns Einladungen nach Weetzen vor Hannover ergehen lassen. Sie erbat bald darauf auch die Genehmigung zur Inangriffnahme der Grundbauten auf lippischem Gebiet. Diese wurde durch den Fürsten im Oktober erteilt. Für die Verwaltung der lippischen Forsten und Domänen ergaben sich nun schwerwiegende Probleme. So mußte bereits am 29. Dezember 1868 die Forstdirektion dem Kabinettsministerium mitteilen, nach einer Anzeige des Oberförsters Maertens in Schieder verlaute in dortiger Gegend, daß mit dem Bau der Bahn im Forstrevier Schieder schon im kommenden Februar begonnen werde. Es müsse in diesem Falle bei Abräumung einer Holzbestandsflache von etwa vierzig Morgen eine so große, schwer zu verwertende Holzmenge zum Einschlag kommen, daß, besonders auch bei den großen Mengen an Windbruchholz, die sonstigen Schläge sofort eingestellt werden müßten. Die Fragestellerin wurde dahingehend beruhigt, daß die Flächen für den Bahnbau kaum vor Ende 1869 abzuräumen seien.
Der Oberförster Maertens in Schieder hatte berechtigte Gründe, sich Sorgen um die Abräumung der für die Bahn benötigten Flächen und die Verwertung des anfallenden Holzes zu machen. Die Stürme der letzten Zeit hatten erhebliche Holzmengen zu Boden gebracht, sie hatten im Dezember 1869 besonders die Bestände am Hainberg und am Harzberg heimgesucht, also zum Teil das Gebiet betroffen, das für die Bahn zu räumen verlangt wurde. Maertens war mit Arbeit überhäuft. Er erbat sich von der Forstdirektion in Detmold eine Hilfskraft mit der Begründung, daß er in kurzer Zeit 16 000 Kubikfuß Eichen-Nutzholz aufmessen und verkaufen müsse. Seinem Wunsche entsprechend wurde sofort der Oberförster-Kandidat Hornhardt nach Schieder beordert. Der Hauungsplan für 1870 sah in der Försterei Glashütte weitere Abtriebe wegen der Abtretung von Grundstücken an die Eisenbahngesellschaft vor. Maertens hatte aber nicht nur Sorgen hinsichtlich des Abhiebs und des Verkaufs des Holzes. Die Gerüchte um den vorzeitigen Beginn des Bahnbaues bei Schieder hatten in der Bevölkerung von Schieder und der näheren und weiteren Umgebung die Hoffnung auf Arbeit und Brot für eine längere Zeit aufkommen lassen. Nach Baubeginn gingen besonders die schlecht entlohnten Holzhauer zum Bahnbau über. Im Hinblick auf die Folgen des Sturmes vom 17. Dezember 1869, der den Schwalenberger Forst besonders hart getroffen hatte, mußte der dortige Oberförster Heise u. a. berichten: „Aber die Brakelsieker Holzhauer streikten. Sie haben genug von dem geringen Verdienst bei der Holzhauerei. Sie haben sich sämtlich aus unserer Arbeit entfernt und sind zu den Eisenbahnarbeiten bei Schieder übergegangen."
Es ist festzustellen, daß Maertens die für ihn entstandene Lage meisterte. Ein großer Eichen-Nutzholzverkauf fand am 4. Januar 1870 im Wachsmuthschen Gasthaus (Dose) zu Schieder statt. Nach einer Bekanntmachung im Regierungs- und Anzeigenblatt standen aus dem Forstrevier Kleve zum Verkauf: 1223 Stück Bau- und Nutzholz zu 15 916 Kubikfuß und 144 Stück Schwellenholz zu 950 Fuß. Die angefallene Borke hatte Maertens bereits früher an einen Lohgerber in Hameln für 169 Taler, 12 Silbergroschen und 6 Pfennig verkauft. Zur Feststellung des Wertes der Grundstücke hatte er sogar auf einem Morgen Probefläche in altem Eichenbestand die genauen Werte des aufstehenden Holzes ermittelt. Im Jahre 1870 ergab sich in der Oberförsterei Schieder ein so großer Mehrhieb an wertvollen Hölzern, daß die Einnahme auf 13 644 Taler gegenüber einem Etatansatz von 5 335 Talern stieg.
Maertens und Treviranus
Maertens war von 1860—1906 Oberförster in Schieder. Er war der letzte Oberförster aus der Maertens-schen Familie, die ununterbrochen nahezu zweihundert Jahre den Revierverwalter des Forstamts Schieder gestellt hatte. Als Forstmann genoß er einen ausgezeichneten Ruf. Sehr vermögend, größere Wald- und Ackerflächen besitzend, bewirtschaftete er diese zum Teil selbst von seinem Familien- und Dienstsitz, dem „Maertenshofe" aus. Im gesellschaftlichen und politischen Leben Schieders spielte er eine große, in der Wichtigkeit seines Amts für die materielle Existenz des Dorfes wurzelnde Rolle. Er war als Vorsteher des Dorfes dessen Wortführer bei den Eisenbahnverhandlungen. Mit dem Domänenpächter Treviranus, der die fürstliche Domäne Schieder gepachtet hatte, war er verwandtschaftlich verbunden. Da sowohl die Domäne als auch die Forst Grundstücke für die Bahn abzugeben hatten, lag es auf der Hand, daß beide für ihre Wirkungsbereiche zu Interessenvertretern des Fürstlichen Fideikommisses, das ja alle Domänen und Forsten des fürstlichen Hauses umfaßte, bestellt wurden. Maertens und Treviranus sind immer treue Sachwalter ihres fürstlichen Herrn gewesen. Für diesen war es ehernes Gesetz, den Besitz zu wahren und zu mehren, keinesfalls aber zu verringern, nicht einmal um einen Meter. Wie konnte es anders sein, daß dieses Gesetz auch für beide Männer Richtschnur für ihr Tun und Lassen war. Es ist nicht bekanntgeworden, ja, es wurde stets verneint, daß beide auch nur den kleinsten Versuch gemacht hätten, die unerträgliche Raumnot des Dorfes Schieder, beispielweise durch Verkauf einiger Bauplätze aus fürstlichem Besitz, durch Fürsprache und Unterstützung zu lindern. Im Gegenteil! Zur Rettung vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch wollte Friedrich Schlue, der Eigentümer des Schiederschen Kruges, jetzt „Deutsches Haus", im Jahre 1847 einen Teil seines Grundbesitzes in Parzellen verkaufen. Er wies in seiner Eingabe an die Lippische Regierung vom 5. Oktober darauf hin, daß in Schieder aller Grundbesitz bis auf einige Gärten Eigentum der Fürstlichen Rentkammer sei. „Mancher, der sich gern etwas Gartenland oder Wiesenwachs ankaufen möchte, kann zur Zeit seinen Wunsch nicht in Erfüllung bringen." Domänenpächter Treviranus teilte der Rentkammer seine Besorgnis über die Möglichkeit der für die Domäne abträglichen Anlage von Neuwohner-stätten mit und schlug vor, den Schlueschen Besitz für die Rentkammer zu erwerben. Bei dem Verkauf des Kruges wurde deren Gebot von Georg Dose aus Hannover um 200 Taler überboten, wobei interessant erscheint, daß dieser vorher mit dem Oberförster Maertens verabredet hatte, diesem nach dem Kaufe Grundstücke zu überlassen. Maertens erhielt denn auch die etwa zehn Morgen große Wiese im Niesetal, einige Einwohner Schieders kleinere Ackerflächen auf der schiefen Niesebreite. Als die Straße von Schieder nach Brakelsiek, die heutige Schwalenberger Straße, über die herrschaftliche Mühlenbreite gebaut wurde, verblieben zwischen der Straße und dem Bach kleinere, wegen ihrer isolierten Lage und unregelmäßigen Form für die Domäne hinsichtlich der Bewirtschaftung unwirtschaftliche Grundstücke. Der Oberförsterkandidat Maertens schrieb dem Fürstlichen Hofmarschallamt in Detmold am 2. April 1861, es verlaute, daß diese Grundstücke für Neuwohnerstätten ausgewiesen werden sollten. Würden Häuser gebaut und Düngergruben angelegt werden, dann sei zu befürchten, daß der Bach für den Mühlenteich und für die nach dem Schlosse, der Domäne und seinem Hause führenden Wasserleitungen beeinträchtigt werde. Die Rentkammer wollte die Grundstücke schon um des zu erzielenden hohen Preises willen verkaufen. Sie erbat sich ein Gutachten des Schiederschen Amtmannes Schierenberg, der denn auch in diesem feststellte, daß ein Verkauf der Grundstücke mit Rücksicht auf das dringende Bedürfnis nach Wohnungen in Schieder zu befürworten sei. Die Besorgnis, daß nach dem Bau von Häusern die Wasserverhältnisse beeinträchtigt würden, wird von ihm wegen der beträchtlichen Entfernung der Hausstellen zum Bach nicht geteilt. Die Grundstücke sind denn auch verkauft und die Häuser gebaut worden. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wollte die Witwe Dose ihr Eigentum, den Krug und die noch verbliebenen Grundstücke, verkaufen.